Präsentation

Buchpräsentation und Lesung: ’Eine Ratte Namens Apfel’

mit Franz Kneissl, Dieter Bandhauer, Otto Kapfinger, Georg Schöllhammer

Mi 24.10.2001, 19:00-21:00

Ein Architektur-Roman von Franz Kneissl
erschienen im Sonderzahl Verlag, Wien 2001

(…) Es ist nicht geholfen, wenn der Kühlschrank zehn Dosen Chili nachbestellt und keine Papierrollen vorhanden sind. Wenn also die Wohnung der Zukunft nicht die Erweiterung des Straßenraumes sein soll, in den die Lieferanten Zugang haben, müssen grundrissliche Lösungen gefunden werden. Die einfachste ist, neben der Eingangstür Schließfächer aufzustellen. Der Lieferant legt hinein, der Bewohner nimmt heraus. Wie unelegant diese Methode im Vergleich zu einem via e-mail Milch nachbestellenden Kühlschrank ist, zeigt sich, wenn vor dem Waschbecken stehend man feststellen muss, dass die Zahnpaste noch draußen ist. Es erinnert an Zeiten, wo Wasser noch im Stiegenhaus geholt werden musste. Daher wird man jedenfalls bei Neubauten die Schließfächer so integrieren, dass sie von beiden Seiten zu öffnen sind. Eine logische funktionelle Konsequenz (…)

Lesung

Franz Kneissl liest aus seinem neuen Architektur-Roman „Eine Ratte namens Apfel“.

Podium

Dieter Bandhauer
Otto Kapfinger
Moderation: Georg Schöllhammer

Textauszüge

Textauszüge aus dem Buch:
„Eine Ratte namens Apfel“
Ein Architektur-Roman von Franz Kneissl
erschienen im Sonderzahl Verlag, Wien 2001

(…)
Rubrik im Café, Zeitung lesen und das südlich urbane Straßenbild betrachten:
Genauer gesagt auf dem Weg dahin bei einem Moped, einem Polizisten und einem vor seinem Laden auf einem Sessel sitzenden Geschäftsinhaber vorbeigekommen. In Ermoupolis wird, bevor das abendliche Getriebe den Höhepunkt erreicht, die am Hafenbecken entlangführende Straße abgesperrt. Sie ist tagsüber eine Einbahn in die eine Richtung, die Straße einen Häuserblock dahinter eine Einbahn in die andere Richtung.

Ab zehn Uhr abends wird die eine gesperrt und die hintere zu einer Straße mit Gegenverkehr. So vereint sich der ans Wasser, an die ankernden Yachten grenzende Ring aus Tischen, Sesseln und Sonnenschirmen mit dem an der Häuserfront liegenden Ring aus Tischen, Sesseln und Sonnenschirmen zu einer großen Promenade nur für Spaziergänger. Tagsüber wird der am Wasser liegende Ring aus Tischen, Sesseln und Sonnenschirmen versorgt, indem die Tabletts zwischen den fahrenden Autos hindurchbalanciert werden.

Die Straße hinter den ersten Häuserblöcken ist gerade zwei Autos breit. Tagsüber, als Einbahn, kann eine Seite zum Parken verwendet werden. Abends herrscht Parkverbot, sonst kämen die Autos nicht aneinander vorbei.

Es ist fünf vor zehn, und alle Autos sind vorschriftsgemäß verschwunden. Nur vor dem auf dem Sessel sitzenden Geschäftsinhaber steht ein einzelnes Moped. Anscheinend stand es vorher zwischen zwei Autos, denn es steht senkrecht zum Gehsteigrand. Der Polizist tritt hinzu. Er schiebt sich die Kappe ins Genick und beginnt mit dem Geschäftsinhaber zu diskutieren. Was wird er sagen? Schon wieder hat eines der Kids das Moped stehen gelassen.- Vermutlich mokieren sie sich über die Sorglosigkeit der Jugend, die vorne in den Cafés sitzt, Eis löffelt, sich mit Musik zudröhnt und dabei vergisst, ihre Mopeds rechtzeitig wegzuräumen.

Wie im Süden üblich, dauert die Debatte eine Weile. Dann steht er auf, und gemeinsam heben und schieben sie, der Lenker war blockiert, das Moped in eine schmale Seitengasse und stellten es knapp an der Ecke parallel zur Hausmauer so auf, dass es von der Straße aus noch gut sichtbar ist. Es ist ein Zeichen von noch vorhandener Elastizität.
Dazu ein Gegenbeispiel aus Wien:
– Und wenn Sie eine Sekunde später kommen, sind Sie straffällig. Sagt der Wiener Polizist zu dem zu seinem Fahrzeug hastenden Bürger, für den die Parkzeit seit drei Minuten abgelaufen ist, und füllt unbeirrt den Zahlschein aus. Keine Elastizität. Feindseligkeit und Pech, denn der Polizist hätte auch drei Minuten später vorbeikommen können. Dann hätte dasselbe nichts gekostet. Ohne Elastizität entscheidet der Bruchteil einer Sekunde über straffällig oder nicht. Beides rückt so eng zusammen, dass es eins wird und sich die Unterscheidung auf registrierte oder nicht registrierte Übertretung verlagert. Auf erwischt oder nicht erwischt. Die Unelastizität bringt immer wieder unglaubliche Bilder hervor wie das von jener Frau, die in Handschellen abgeführt wurde, weil sie bei Rot einen Zebrastreifen überquerte, wobei pikanterweise hinzukommt, dass sie noch bei Grün losgegangen war, die Ampel während der Überquerung aber umschaltete und nur bei den letzten Schritten bereits Rot zeigte.

In krassen Fällen muss dann die Öffentlichkeit oder der Innenminister eingreifen, um einen Hauch von Elastizität zu schaffen. Wenn das nicht gelingt, bleibt Moba stur. Der Polizist in Ermoupolis hätte sicher auch andere Möglichkeiten gehabt, als sich einen Schweißausbruch zu holen. Es hätte ihm egal sein können, wie das Mädchen oder der Junge nach Hause kommt, denn auch hier fahren die öffentlichen Verkehrsmittel nur bis Mitternacht. Oder wie das Strafmandat bezahlt wird. Oder ob das erste Auto das Moped rammt. Mehr noch. Es wird zu seiner Routine gehören nachzusehen, ob die Straße frei ist, um notfalls hinterher zuräumen. Vermutlich mit großem Undank von Seiten der Kids.

[…]
Zur Zukunft des Wohnens befragt, sagt Wolf Prix in einer Tageszeitung:
– Wir werden uns nackt in Glaswohnungen bewegen. Damit sich auch der Nachbar an unseren Tätowierungen erfreut. Er schiebt ein verlockendes Bild von einer schönen, neuen Welt in die Köpfe.
Moment, halt, diese Bilder gibt es. Die meisten kennen sie aus Filmen. Glas gegen durchsichtig getauscht, sind es unverkennbar die gleichen Bilder: Hinter Gitter liegen Tätowierte auf ihren Betten oder bewegen sich in einem wiederkehrenden Ablauf. Und plötzlich ist die Frage – wie die Milch in den Kühlschrank kommt, geklärt. Der elektronische Butler ist nicht Butler, sondern Wärter. Er schiebt den zum Überleben notwendigen Fraß aus der globalen Küche durch den Schlitz in der Tür. Den Schlüssel hat der Wärter
(…)

Rückblende.
Rubrik im Café, Zeitung lesen und das südlich urbane Straßenbild betrachten.
Unmittelbar nach dem Symposium, am Abend des zweiten Tages mit Purtscher, Skoutelis und Manikas am Platz Miaouli. Der Platz ist ein marmorgepflastertes, palmengesäumtes Rechteck- inmitten von allen Seiten zuströmenden Häusern und Straßen. Sein nördlicher Längsabschluss ist das im neunzehnten Jahrhundert erbaute, klassizistische Rathaus des aus Bayern stammenden- Architekten Ernst Ziller.
Während der größten Hitze ist der Platz menschenleer. Dann aber ist er bis spät in die Nacht bevölkert, wird zur Promenade, zum Kinderspielplatz, zum Fußballplatz, zum Treffpunkt für Jugendliche und zum Aufführungsort verschiedener Veranstaltungen.
Dazu hat das Rathaus eine Besonderheit: Die Amtsräume sind in den beiden oberen Geschossen untergebracht. Eine breite, steinerne Freitreppe führt vom Platz zum Eingang im ersten Geschoss. Das Erdgeschoss aber ist von Cafés besetzt, mit einem Band von Tischen, Sesseln und Sonnenschirmen davor. Hier sitzen wir.

Bereits am Ankunftstag war eine Veränderung zu bemerken.
Auf der Traufe der Längsfront sitzen symmetrisch verteilt vier etwa einen Meter hohe Gebilde, die sich ständig um eine vertikale- Achse hin und her drehen. Was ist das? Die Gelegenheit ergriffen und Manikas gebeten, den Kellner, den er offenbar gut kennt, zu fragen. Wie im Süden üblich dauert das eine Weile.
Inzwischen, in einer unbewusst richtigen Assoziation Kollegin Purtscher die Katzengeschichte erzählt:
In Wien im Garten einen Sandstrand eingerichtet. Ein Rechteck aus schulterhohen Trockensteinmauern. Die vierte Wand ist die Hauswand. Treppe von der Wohnung hinunter. Das Rechteck mit feinem, gelben Sand gefüllt. Nicht aus Griechenland eingeflogen, sondern in Wien gekauft. Zur selben Zeit wurden im Haus zwei kleine Katzen angeschafft, und damit begann ein wilder Kampf, denn die kleinen Katzen machten es sich von Anbeginn an zur Gewohnheit, nach der Fütterung in den feinen Sand zu scheißen. Eine in die linke Ecke, die andere in die rechte. Mit glitzernden Augen ob der großen, komfortablen Katzenkiste.
Es ist nicht angenehm, in einer Katzenkiste in der Sonne zu liegen.

Was tun? Es gibt Antikatzenspray zu kaufen. Für Innen und Außen. Also die Mauern mit Antikatzenspray eingenebelt. Viel Geld ausgegeben. Erfolg Null. Dann verschiedene andere Strategien probiert. Der Kampf eskaliert, gerät beinahe außer Kontrolle. Zuletzt kamen Tschinellen zum Einsatz. Katzen mögen diese Geräusche nicht. Und plötzlich die Erleuchtung: Diese Schlacht ist nicht zu gewinnen. Es ist aussichtslos. Eher besteht Gefahr, in eine geschlossene Anstalt eingeliefert zu werden, als den Katzen abzugewöhnen, in den Sand zu scheißen. Man muss es aus der Perspektive der Nachbarn betrachten, die die unten hockenden Katzen nicht sehen. Da steht einer oben am Treppenpodest und schlägt aus unerklärlichen Gründen in unregelmäßigen Abständen wild mit Tschinellen.

Ist er verrückt geworden? Manikas und der Kellner reden immer noch. Der Kellner war zu Beginn der Erklärung sehr ernst. Jetzt beginnt er ein wenig zu lächeln. Also Sand weg und Steingeviert mit Steinen gepflastert. Seit dem ist Ruhe, und man hat sich im Laufe der Zeit sogar angefreundet. Das Lächeln im Gesicht des Kellners wird immer hämischer. Die Erzählung endet mit breitem Grinsen. Danach die Kurzübersetzung: Die Gebilde auf der Traufe sollen Eulen sein. Sie wurden um viel Geld aus Amerika eingeflogen. Sie sollten die Tauben vertreiben. Aber es hat nicht funktioniert. Das war das hämische Grinsen des Kellners: Es hat nicht funktioniert. Ein Blick hinauf: nein, es hat nicht funktioniert. Hunderte Tauben tummeln sich daneben und auf den Gesimsen darunter, während sich die elektrischen Eulen unermüdlich und sinnlos hin und her drehen.