Highlight

„Nix Pupperl!“ Architekturpionierin Edith Lassmann (1920–2007)

Objekt aus der Sammlung

Plan mit Draufsicht mit Beschriftung

Edith Lassmann, Wettbewerb Stadt des Kindes, Kinderhausgrundrisse, 1968
© Architekturzentrum Wien, Sammlung

„Na gut. Die Juryentscheidung ist gefallen, und sie war bindend. Als sich dann herausstellte, für wessen Entwurf sie sich entschieden haben, brauchten sie über einen Monat, bis sie mich anriefen.“1)

Das hätte sich die Jury, bestehend aus einer Reihe arrivierter Architekten rund um Erich Boltenstern, im Jahr 1950 nicht im Traum gedacht. Ausgerechnet auf die einzige teilnehmende Frau am Wettbewerb für die Weiterplanung des Wiederaufbau-Prestigeobjekts Tauernkraftwerk Kaprun2) war die Wahl gefallen. Nicht nur waren Frauen als Architektinnen damals ohnehin eine Seltenheit, aber dass ausgerechnet die erst 30-Jährige den Auftrag zur Gestaltung des Krafthauses in einem der größten Wasserkraftwerke Europas erhielt, versetzte die männliche Architektenschaft gehörig in Aufruhr. Der Bau des Wasserkraftwerks war bereits ab 1938 unter der NS-Herrschaft mit dem Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern vorangetrieben, nach Kriegsende aber eingestellt worden. Nach dem Krieg galt er als eines der zentralen, identitätsstiftenden Wiederaufbauprojekte.3) Lassmanns Aufschlag in der rauen Welt des Kraftwerkbaus gestaltete sich mehr als schwierig. So durfte sie nicht gemeinsam mit den Männern in der Kantine essen, sondern musste sich eigene Verpflegung mitnehmen. Ein ihr bei Arbeitsantritt zugerufenes „Hearst, Pupperl!“ konterte sie mit „Nix Pupperl!“. Durch ihr unbestrittenes technisches Know-how verschaffte sie sich allmählich den Respekt der Bauarbeiter vor Ort. Der Erfolg in Kaprun brachte Lassmann weitere Aufträge für diverse Kraftwerke.

1968 hatte der Wiener Gemeinderat anlässlich des Jubiläums von 50 Jahren Republik Österreich die Errichtung einer „Stadt des Kindes“ beschlossen. Unter den 12 Teilnehmer*innen des geladenen Wettbewerbs war Edith Lassmann – neben Traude Windbrechtinger, die mit ihrem Mann Wolfgang in einem gemeinsamen Architekturbüro arbeitete – wiederum die einzige Frau. Das umfangreiche Raumprogramm mit Wohneinheiten, Freizeitzentrum mit Schwimmbad, Bibliothek, Turnsaal, Festsaal, Außensportanlagen, Kinderspielplatz etc. sollte den Kindern explizit Anschluss zur Außenwelt ermöglichen. Lassmann belegte hinter Anton Schweighofer den zweiten Platz, wobei ihre „Stadt des Kindes“ sich gänzlich anders in das 48.000 m2 große Grundstück am Rande des Wienerwaldes in Penzing eingefügt hätte: Während Schweighofers realisierter Entwurf als lineare Idealstadt mit kompakten Baukörpern und einer belebten Wohnstraße konzipiert war, orientierte sich Lassmann mit ihrer Clusterstrategie an der Struktur einer gewachsenen Stadt. Wohnbebauung, Freiräume und öffentliche Bauten wechseln einander ab und bilden eine aufgelockerte Anlage, wie die seit 2016 in der Sammlung des Az W befindlichen Pläne zeigen.

1) Erika Thurner: „Nationale Identitäten und Geschlecht in Österreich nach 1945“, Wien 2000, zitiert in: Alexandra KRAUS: Zum Leben und Werk der Architektin Edith Lassmann (1920–2007), Dipl. Arb. TU Wien 2018, 44.
2) Konkret ging es um die Planung und Gestaltung der Sperrkrone der Limbergsperre und des Krafthauses Oberstufe.
3) Sabine Plakolm-Forsthuber, Edith Lassmann 1920–2007, in: Ingrid Holzschuh, Sabine Plakolm-Forsthuber, Pionierinnen der Wiener Architektur, Basel 2022, 76.