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Herein­geschneit: „Ein­ladung zum Stolpern“ – ein Augen­zeugen­bericht von der IBA Berlin 1957

Objekt aus der Sammlung

Karteikarte in vergilbten Gelb mit Foto und Noitzen

Oscar Niemeyer, Wohnbau der IBA Berlin, Karteikarte 13 mit Detailfoto der Sockelzone, Baustelle Juli 1957
© Architekturzentrum Wien, Sammlung

Über Umwege gelangen des Öfteren Konvolute in die Sammlung des Az W, die überraschende Einblicke in die Architekturgeschichte erlauben. So zum Beispiel ein Paket von 35 Karteikarten – fein säuberlich durchnummeriert, auf der Vorderseite jeweils mit kleinen s/w-Fotos und den wichtigsten Daten zum abgebildeten Bauwerk versehen.

Spannend sind aber vor allem die Rückseiten der Karteikarten: Hier gibt deren Verfasser, Architekt Alexander von Hoerschelmann, einer von insgesamt 1,3 Millionen Besucher* innen der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Berlin 1957, seine ganz persönliche Einschätzung zu den abgebildeten Bauten. Mehr als 50 prominente

Architekten aus 14 Ländern – darunter Alvar Aalto, Egon Eiermann, Le Corbusier, Walter Gropius und Oscar Niemeyer – errichteten im 25 ha großen Hansaviertel insgesamt 1300 Wohneinheiten, eine Bücherei, zwei Kirchen, eine Kindertagesstätte, eine Grundschule und ein Einkaufszentrum.

Die IBA war nicht nur eine Maßnahme, um das weitgehend kriegszerstörte Hansaviertel wieder aufzubauen. Sie galt als westliche Antwort auf die sogenannte „Stalinallee“ in Ostberlin – eine 1951 gestartete Wohnbauoffensive, deren atemberaubendes Tempo in Westberlin argwöhnisch verfolgt wurde. Die IBA Berlin war laut dessen Geschäftsführer Karl Mahler „ein klares Bekenntnis zur westlichen Welt. Sie soll zeigen, was wir unter modernem Städtebau und anständigem Wohnbau verstehen, im Gegensatz zum falschen Prunk der Stalinallee.“ 1) Durch informative Begleitausstellungen ergänzt, zogen vor allem die locker angeordneten Punkt- und Kammhochhäuser, die sich mit flacheren Bauten und viel Grün- und Freiflächen abwechselten, die Menschen an.

Der Entwurf des brasilianischen Stararchitekten Oscar Niemeyer für ein siebengeschossiges Wohnhaus musste zunächst umgearbeitet werden, um den Vorgaben des sozialen Wohnbaus zu entsprechen. Ganz offensichtlich war unser Chronist Alexander von Hoerschelmann vom Ergebnis nicht begeistert, notierte er doch auf einer Karteirückseite zu den sieben Doppelstützen, auf denen das Gebäude ruht: „Die ,Zahnstocher‘ wirken als Auflage ausgesprochen lächerlich.“ Auf einer weiteren widmete er sich der ungewöhnlichen Erschließung von Niemeyers Wohnbau: „Und da ist der Fahrstuhlturm im Wachsen, der vielen Wohnungen Sicht u. Licht nimmt, und lange Wege sowie viel Treppenlaufen einbringt, da die 2 Fahrstühle nur im 5. und im Dachgeschoss halten.“ Alvar Aaltos achtgeschossiger Wohnbau war in Hoerschelmanns Augen von außen betrachtet der gelungenste Großbau, aber die Krux liege im Detail. Auf der Rückseite der Karteikarte mit einer Detailaufnahme des Austritts von der Wohnung auf den Balkon notierte Hoerschelmann trocken: „Einladung zum Stolpern“.

1) Karl Mahler: Internationale Bauausstellung 1956, in: Bauwelt 1953, Heft 35, S. 682