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Die Stadt des Kin­des: Vom Schei­tern einer Uto­pie

Ausstellung | 17.04.-28.05.2018 | Az W | Galerie

Plakat mit den Daten zur Ausstellung und bunt unterlegten Bildauschnitten mit Motiven der Stadt des Kindes

Plakat zur Ausstellung
© Barbara Pflaum/Pez Hejduk, Wien; Skizze: Architekturzentrum Wien, Sammlung

Auch die Architektur hatte ihr 1968. Die Stadt des Kindes von Anton Schweighofer gehörte bei ihrer Eröffnung 1974 zu den herausragenden Beispielen einer sozialreformerischen Architektur, die weltweit eine Vorreiterrolle einnahm. Die Ausstellung im Architekturzentrum Wien erzählt von den revolutionären Wünschen und dem Scheitern dieser gebauten Utopie.

Im zweiten SammlungsLab des Az W treffen beeindruckende Sammlungsobjekte zur Stadt des Kindes auf filmische Dokumente, welche die institutionskritischen Erinnerungen von ehemaligen Bewohner*innen festhalten. Die Stadt des Kindes avancierte vor 50 Jahren zu einem Vorzeigeprojekt für die Politik. Als neues Modell für die „Unterbringung“ gefährdeter Kinder und Jugendlicher blieb sie eine Ausnahmeerscheinung, die allerdings als exemplarischer Bau in die internationale Architekturgeschichte einging.

Die Vision: Planen für eine bessere Welt
Im Sog der 1968er-Bewegung kam es zu einem Wandel in der Wiener Sozialpolitik. Mit dem Wettbewerb für die Stadt des Kindes präsentierte sich die Gemeinde Wien anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Republik als „Großstadt mit sozialem Gewissen“. Es war der dezidierte Wunsch der Auslober, kein Kinderdorf zu errichten, sondern die Kinder und Jugendlichen auf ihr künftiges Leben in einem urbanen Umfeld vorzubereiten. Auf dem weitläufigen Areal des Ledererschlössels entstand nach den Plänen des Architekten Anton Schweighofer eine Kinderstadt für über 300 Kinder, die 1974 eröffnet wurde. „Die Anlage folgt im Typus einer Idealstadt und verkörpert die neuen Leitideen des Wohlfahrtsstaats: Durchlässigkeit und Gemeinschaft. Die Stadt des Kindes steht für die Abkehr von einer Verwahrungs- und Versorgungsmentalität zugunsten eines partnerschaftlichen Ansatzes ‟, so Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrum Wien. Die dem Entwurf zugrunde liegende Idee war eine „Stadt in der Stadt“, die mit allen Funktionsbereichen wie Wohnen, Freizeit, Kommerz, Arbeiten und Verkehr durchzogen war. „Die Fülle an Gemeinschaftseinrichtungen sowie die Vielfalt an räumlichen Erlebnissen sind bis heute beispielgebend“, so die Kuratorin Monika Platzer. Der offene Zugang zu den Freizeiteinrichtungen wie Hallenbad, Turnsaal, Theater und Keramikwerkstatt steht für die Verbindung der Bewohner*innen mit der Nachbarschaft. Schweighofer selbst spricht von einem „Ort sozialer Kommunikation“.

Relikte und Stimmen der Erinnerung
Der Teilabriss der nicht unter Denkmalschutz gestellten Stadt des Kindes im Jahr 2008 veranlasste das Architekturzentrum Wien, dessen Sammlung bereits im Besitz des Vorlasses von Anton Schweighofer war, zu einer Notbergung von dreidimensionalen Einzelobjekten und einer kompletten Jugendzimmereinrichtung.
„Die Motivation hinter der Rettungsaktion beruhte einerseits auf dem architekturhistorischen Interesse am Schweighofer‘schen Planungsansatz für ein Gesamtkunstwerk und andererseits galt unsere Aufmerksamkeit der Bewahrung von Alltagsobjekten. Die Erhaltung der authentischen Gebrauchsspuren an den Objekten ist ein wesentlicher Aspekt unserer Sammlungspraxis“, so die Kuratorin Monika Platzer. Die in der Ausstellung gezeigte Objektassemblage vergegenständlicht den unmittelbaren Bezug von Architektur und sozialpolitischen Zusammenhängen. Dabei stellt sich in mehrfacher Hinsicht die Frage nach dem ambivalenten Verhältnis zwischen Architektur und gesellschaftlicher Praxis.

Architektur und Gesellschaft
Bauten für Kinder sind immer auch Belege eines stattfindenden gesellschaftlichen Wandels und damit Symbole der jeweils agierenden politischen Akteure. Für Schweighofer und den Landschaftsplaner Wilfried Kirchner stellte sich die Stadt des Kindes nicht ausschließlich als baukünstlerisches Problem dar, vielmehr reagierten beide mit ihren variantenreichen planerischen und räumlichen Konkretisierungen auf die neuen pädagogischen Ansätze.

Mittlerweile hat die veränderte Weltwirtschaftslage den fürsorgenden Staat schon längst in eine Krise gebracht und ökonomische Steuerungsvorstellungen rücken in den Vordergrund. Die 1995 einsetzende Reform „Heim 2000“ führte sukzessive zur Schließung aller Großanstalten in Wien. Man setzt bis heute auf dezentrale Unterbringung in Krisenzentren bzw. Wohngruppen. Mit der Schließung der Stadt des Kindes 2002 wurde die monetäre Verwertung des Areals von der Stadt Wien in die Wege geleitet. Erhalten und saniert wurden zwei Familienhäuser, das Hallenbad und der Turnsaal. Auf dem mit großzügigen Freiflächen versehenen Areal entstanden zwischen 2011 und 2013 über 250 Wohnungen (Architekten: Walter Stelzhammer, Peter Weber).

 

Kuratorin: Monika Platzer, Az W
Ausstellungsgestaltung: Robert Rüf

Dank an: Wien Holding