Mit dem Architekturzentrum Wien war Friedrich Kurrent viele Jahre freundschaftlich verbunden. 2010 zeigte das Az W eine Ausstellung über die arbeitsgruppe 4, der er von 1951 bis 1974 angehörte. Nun ist Friedrich Kurrent 90-jährig verstorben.
„Ich bin nicht nur Kurrent, sondern auch mein eigener Konkurrent. So wurde ich zu dem, als den ich mich sehe: Ein verhinderter Architekt. Verhindert? Von wem? Von mir selbst. Denn: Viel ist es nicht, was ich (bisher) bauen konnte. Nur einige Häuser, Kirchen und dergleichen.“
Gebaut hat Friedrich Kurrent tatsächlich nicht viel. Wegweisendes – vor allem im sakralen Bereich – entstand in den Jahren 1951 bis 1974 im Rahmen der arbeitsgruppe 4 (gemeinsam mit Johannes Spalt und – bis 1964 – mit Wilhelm Holzbauer). Im Atelier der auch „3/4ler“ genannten Architektengruppe versammelte sich in den 1950er-Jahren die gesamte Wiener Kunstavantgarde. Nur über den Architekten Kurrent zu sprechen, greift aber ohnehin zu kurz. Friedrich Achleitner bezeichnete ihn in seiner Laudatio anlässlich einer Ehrung als „Lehrer, Aktivist, Aussteller, Entdecker, Forscher, Gründer, Kritiker, Leser, Schreiber, Urbanist, Zeichner und Retter“. Als Lehrer wirkte er von 1973–1996 an der TU München, seine Rolle als Aktivist, Entdecker und Retter erfüllte er in zahlreichen Kämpfen um alte Bausubstanz, wie etwa im Falle eines Biedermeierhauses am Spittelberg, dessen Sanierung zur Initialzündung für den Erhalt des gesamten Areals wurde. Das Semperdepot und die von Adolf Loos gestaltete Bank in der Mariahilfer Straße in Wien verdanken ihr Überleben ebenfalls Friedrich Kurrent. Letztere stand kurz vor einem Umbau, als es Kurrent bei einem nächtlichen Spaziergang wie Schuppen von den Augen fiel: „Plötzlich reißt es mich. Jessas na, dieses Portal, mein Gott, dort oben die Kassetten. Das ist ja wie im Vorraum vom Loos-Haus. Der Stein, das ist der Marmor von Kniže. Da war dann kein Zweifel mehr.“ Erst, als im Loos-Archiv der Albertina ein kleiner Zettel mit einer Zeichnung des Portals gefunden wurde, glaubte man Kurrent seine Entdeckung.
Legendär sind auch die Ausstellungen, die Friedrich Kurrent mit der arbeitsgruppe 4 über Kirchenbau, Schulbau, Theaterbau und – lange vor Hans Hollein und dem allgemeinen Hype – über „Wien um 1900“ organisiert hat.
Die Realisierung seines Herzensprojekts, die Errichtung einer Synagoge am Wiener Schmerlingplatz, blieb ihm leider verwehrt. In der Sammlung des Az W hat sich neben dem umfangreichen Archiv der arbeitsgruppe 4 auch eine Serviettenskizze mit der städtebaulich perfekt zwischen Parlament und Palais Epstein eingefügten Synagoge erhalten. Sie lässt erahnen, welch begnadeter Zeichner Friedrich Kurrent war.
Er versäumte kaum eine Veranstaltung im Az W und fast immer meldete er sich zu Wort, um pointiert und gelegentlich scharf seine Sicht der Dinge kundzutun. Wie einen Schatz hütete Kurrent seine zahlreichen Zettel in der Sakko-Innentasche, die über und über mit Fakten, Anekdoten und Daten beschriftet waren und bei Bedarf hervorgeholt wurden. Er, der mit vielen berühmten Architekt*innen und Kulturschaffenden des Landes – darunter so illustren Namen wie Oskar Kokoschka und Josef Hoffmann – in Kontakt war, wusste viel zu erzählen. Aber nicht nur Anekdotisches, denn Kurrent brannte für seine Überzeugungen und er war es nicht leid, diese auch bei jeder Gelegenheit kundzutun. Pragmatische Kompromisse waren ihm ebenso zuwider wie rein marktwirtschaftlich orientierte, überbürokratisierte Planungs- und Bauprozesse. Unermüdlich hat er für die Architektur gekämpft, die nicht den Architekten, sondern den Menschen dient.
Leider hat Friedrich Kurrent vor genau einem Jahr, im Jänner 2020, einen schweren Schlaganfall erlitten, weshalb er seinen 90. Geburtstag im vergangenen September nicht mehr feiern konnte.
Wir werden ihn und seinen streitbaren Geist sehr vermissen. Nicht nur als Mensch wird er fehlen, sondern auch als wichtige Stimme der österreichischen Architektur.
„Friedrich Kurrent ist ein Moralist von der unbestechlichen, aber auch anstrengenden und unbequemen Art, dem man nicht leicht verzeihen kann, dass er meist recht hat.“ (Achleitner, Laudatio)