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Hintergrund 32

Un jardin d´hiver*, präsentiert

Der Titel dieser Hintergrund-Sonderausgabe greift auf das von Marcel Broodthaers nicht fertig gestellte, als fragmentarische Diasammlung überlieferte Ausstellungsprojekt „Un jardin d’hiver (objet-sujet)“ aus dem Jahre 1974 zurück. „Un jardin d’hiver“ steht für einen beliebten Aufenthaltsort der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, den Wintergarten. Im Wintergarten, in dem exotische Pflanzen gezogen und Objekte aus „fernen Welten“ präsentiert werden, erscheint das Fremde als Fluchtpunkt, imaginäre Konstruktion einer Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, unverdorbener Natürlichkeit, Ursprünglichkeit, das jedoch gleichzeitig als bedrohend und unheimlich gefürchtet wahrgenommen wird.

1,10 

Beschreibung

Ort- und geschichtslose Ferne, ist der Wintergarten räumlich gesellschaftliche Einrichtung der Ausblendung und Verdrängung der Machtverhältnisse (und ihrer gleichzeitigen Affirmation), globaler kapitalistischer Produktionsbedingungen, wie zum Beispiel die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien und deren Bevölkerung. Der*die (entrechtete) Fremde, durch diese Darstellungen ein weiteres Mal unterworfen, ist im stummen Kleid der Natur, in Natürlichkeit, stellvertreten, ausgelöscht, an eine Stelle gerückt, an der er*sie fehlt. Der Wintergarten lässt sich jenen fetischisierenden Symbolen zurechnen, von denen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung sagen: „Die Wiederholung der Natur, die sie bedeuten, erweist im Fortgang stets sich als die von ihnen repräsentierte Permanenz des gesellschaftlichen Zwangs. Der zum festen Bild vergegenständlichte Schauder wird zum Zeichen der verfestigten Herrschaft von Priviligierten.“

Die vorgestellte Bilder/Textsammlung ist als Katachrese angelegt. Was heißt das? Die Zusammenstellung von Texten und Bildern ist der Formulierungsweise einer rhetorischen Figur folgend gearbeitet, die aus der unstimmigen, zuweilen widersprüchlichen Verbindung mehrerer Elemente eine Bezeichnung herstellt, die jedoch verquer im Bezug zum Bezeichneten steht, Bezeichnendes und Bezeichnetes in ein Missverhältnis stellt. Die Katachrese zielt in oder auf eine sprachliche Lücke, eine Leerstelle des Gemeinten, die eben in den Übereinkünften des Bezeichnens liegt.

„Un Jardin d’hiver*, präsentiert“ ist jedenfalls eine gebastelte Geschichte zu einer heutigen architektonischen Praxis, die im Bereich gesellschaftlich deregulierter Verhältnisse über das geopolitische gesellschaftliche Gefälle hinweg wirken will. Diese gebastelte Geschichte möchte, wenn schon nicht die unaussagbare, so doch die schwer aussagbare Leerstelle dieser Praxis umkreisen, von außen her aufsuchen. Sie umkreist sie, indem sie Bilder und Texte, die mit dieser bestimmten Praxis unstimmig sind, ihr vielleicht sogar fremd, uneigentlich sind, sammelt, sie miteinander verbindet, sodass die bestimmten Qualitäten ihrer Bedeutungen, die sich in ihrer Wechselwirkung gegenseitig immer neu aufladen und anstecken, die unbestimmten Seiten ihrer Bedeutungen aufrufen, als Äußeres, Fremdes, Uneigentliches dieser Leerstelle, als das was sie – bestimmt – nicht ist, aber unbestimmt.